Im ersten Kapitel meines Fachbuchs Philosophie des Herzens geht es um das Herz aus religionsphilosophischer Sicht. Die autobiografischen Schriften dreier exemplarisch ausgewählter, im Blickpunkt von »Herz und Geist« herausragender Philosophen der abendländischen Ideengeschichte liefern Zeugnis über die jeweilige Denkart und das Seinsverständnis. Dies schließt das Leben grundsätzlich wie auch das jeweilige Verhältnis von Mensch-Welt-Gott ein. Es handelt sich um die »Bekenntnisse« von Aurelius Augustinus (354-420), »Das Herz der Materie« von Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) und die »Gedanken« von Blaise Pascal (1623-1662).

Augustinus, Teilhard und Pascal ist gemein, dass ihr Philosophieren in das für sie Existentielle, in Gott, mündet und dass, »Herz« und »Liebe« Grundkategorien ihres Denkens bilden.  

Das Herz ist ein vermittelndes Organ der Erkenntnis; des Sehens, Erkennens und Schauens.
Die Beteiligung des Herzens an ihren tiefgreifenden Klärungs- und Erkenntnisprozessen sowie an ihren religiösen und mystischen Erfahrungen führt diese Denker, entgegen der Strömung des jeweiligen Zeitgeistes, zu Schlussfolgerungen über die kausale und die spirituelle Dimension des Herzens. In der richtigen Reihenfolge stehen Glaube und Erkenntnis in einem dem Geiste gebührenden fruchtbaren Verhältnis zueinander — glauben, um zu erkennen (nicht aber erkennen, um zu glauben).
Das Herz ist das innerste Wesen, der Kern, die Mitte des Menschen.

Bei Augustinus, einem der einflussreichsten Kirchenväter, ist Cordas Herz, innerstes Wesen, der Kern, die Mitte einer Person, in der die Innen- und Außenwelterfahrungen sowie die seelischen und leiblichen Erlebnisse des Menschen zusammentreffen. Als Mitte personaler Existenz sorgt Cor für die Sammlung aller seelisch-geistigen Kräfte. Als das Organ der Selbstgewissheit, des Selbst- und Gottvertrauens, der Erinnerung/Wiederbeherzigung, als Organ der personalen Ordnung (Gewissen) und der Aufrichtigkeit sorgt Cor für die personale Einheit. In Cor pulsiert der Grundrhythmus ad te — das Zu-dir-Hin, als dialogischer Ausdruck einer waltenden Kraft des Herzens mit intentionalem, akt- und richtungsmäßigem Charakter (Intention, Aktion, Handlung). Es ist somit der Inbegriff für die Bezogenheit des Menschen, kennzeichnend für die aktive Hinwendung und Hingabe zu allem, was dem Menschen im Leben begegnet (was ihn angeht, was an ihn geht), für die Öffnung und der Offenheit. Bei einer Abkehr-Haltung hingegen ist der Grundrhythmus gestört, das Herz verschließt sich, wird sich selbst dunkel; seine Sicht wird trüb und die Erkenntnisfähigkeit entsagt sich ihm.

Erkennen aus dem Herzen heraus bedeutet, ganzheitlich zu erkennen, die Inhalte des rationalen Denkens und irrationalen Erlebens in Einklang zu bringen. Das zusammenschauende Denken bei Augustinus ist ein vermittelnder wie auch ein zeugender Prozess, der sich im Herzen, der Geistmitte, vollzieht. In der Wirkweise der Ratio des Herzens, der treibenden Kraft geistiger Sammlung, sind Verstand, Vernunft, Intellekt, Gemüt, Gefühl, Affekt vereint. In der Sinneserkenntnis erscheint Cor als vermittelndes Organ, in der rationalen Erkenntnis als treibende Kraft, im überrationalen Geschehen als Organ der Aufnahme und in der intellektuellen Erleuchtung als Organ für die mystische Erfahrung. Cor zentriert den menschlichen Geist, der stets einen Weg aus-sich-heraus, zu-sich-hin und gleichzeitig über-sich-hinaus sucht. Von der Unruhe des Wachsens, des Reifens, der Bewegung getrieben, erstrebt er ständig jenen Ruhepunkt, seine sammelnde und tätige Mitte.

Im Herzen wirkt eine göttliche Kraft des Zentrischen, eine die Gegensätze vereinende Synthesestätte.
Der Jesuitenpriester und Naturwissenschaftler Teilhard verwendet das Wort Herz als Kern, als die Innendimension der Materie und des Geistes. Im Herzen erfährt Teilhard wie sich die Gegenpole, Innen und Außen, Geist und Materie, Gott und Welt, in einem Zentrischen kreuzen und in ihrer komplementären Weise als Einheit erscheinen. Im Herzen der Materie entdeckt und erkennt er dieselbe wirkende göttliche Kraft wie in seinem eigenen Herzen. Sein dialogisches Seinsverständnis gipfelt in der visionären Schau einer aufstrebenden kosmischen Kraft: Materie und Geist stehen in wachsender Kommunikation zueinander (Konvergenz-Bewegung). — Die innige Erkenntnissuche des Philosophen, die Liebe zu finden, die nicht entzweit ist, die nicht zwischen der Liebe zur Materie und der Liebe zum Geist unterscheidet, wird maßgeblich von der Aktivität zweier im Herzen vereinter Sinne, dem Sinn für die Konsistenz und dem Sinn für die Fülle, gestützt. Durch seine Sehnsucht getrieben und durch seine Forschungsergebnisse im Geologie-, Paläontologie-, Zoologie-, Physik- wie auch Theologiestudium stark geprägt, durchlebt Teilhard eine Transformation und berichtet vom Erwachen weiterer, ebenfalls dem ›Herzsinn‹ entspringender Sinne: der Sinn für das Zentrische, der Sinn für das Ganze, der christische Sinn und der kosmische Sinn.

Der Philosoph und Mathematiker Pascal setzt die Erkenntnisfähigkeit des Herzens mit der Logik des Herzens gleich. Er stellt der methodischen Denkweise eine intuitive Erfassungsweise des Geistes entgegen. Das Herz ist für Pascal der Geist der Intuition, der Geist des Feinsinns, mit der Fähigkeit ausgestattet, auf einmal und ganzheitlich zu erfassen. In der Einheit von Geist und Herz liegt die höchste Kraft des Menschen geborgen. In dieser Ganzheit erst stellt sich die Liebe ein, nicht als Gefühl oder Empfindung, sondern als eine Funktion der Erkenntnisfähigkeit.

Die Besinnung auf das Herz führt zur Entfaltung der Herzensqualitäten, zum Erwachen des Herzsinns und weitet die Erkenntnisfähigkeit, von Selbsterkenntnis, Welterkenntnis, Gotteserkenntnis. Allem voran ist die Selbstkenntnis; sich selbst zu kennen.

 


Hinführung zur Philosophie des Herzens – Vorstellung der ersten drei Kapitel:

    Das Herz aus naturwissenschaftlicher Sicht

    Das Herz aus phänomenologischer Sicht

    Das Herz aus religionsphilosophischer Sicht


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