Das Symbol des Herzens ist weltweit so stark in Wort und Bild vertreten wie kaum ein anderes Symbol — als Allegorie, Analogie, Archetyp, Gleichnis, Metapher, Motiv. Seine vielfältige Ausdrucksweise vergegenwärtigt sich nicht nur in Kunst, Philosophie und Religion, sondern auch im Alltag.

In diesem Rahmen steht die Zeichensymbolik im Vordergrund, es geht um das wohl bekannteste Symbol neben dem Kreuz: das Herz-Zeichen mit den zwei runden Hügeln, die im Tal zu einer Spitze zusammenlaufen. Im Folgenden nehme ich die Bedeutungsebenen des Herz-Zeichens unter die Lupe.

»Heutzutage beruht die Allgegenwart und Alltäglichkeit des Herzens fast nur noch auf seinem Gebrauch und Missbrauch als Sinnbild des irdischen Eros auf verschiedenen Ebenen: von der Sympathie zur Zärtlichkeit, von der gefühlvollen Erotik bis zur beziehungslosen Sexualität, von der leidenschaftlichen Hingabe bis zum lieblos vermarkteten Konsumgut«, bemerkt Frank Nager. In seinem empfehlenswerten Buch Das Herz als Symbol zeigt der Schweizer Kardiologe die herausragende kordiologische Reichweite des Ursymbols und Wahrzeichens des Herzens, thematisch abgegrenzt als »Wesenskern und Lebenszentrum«, als »Urquell der Religiosität«, als »Quelle tieferen Wissens« und als »Sinnbild irdischer Liebe«. Der Autor verzeichnet aus der historischen und gegenwärtigen Erscheinungsweise des Herzens nicht nur die »Signatur des Eros auf allen Ebenen«, sondern er entnimmt ihr einen Universal-Charakter.

Nagers Auseinandersetzung mit der Herkunft des Herzsymbols, mit der Frage, wann diese Symbolfigur entstanden ist, bleibt zurecht ungeklärt. »Die ungeklärte Herkunft des Herzsymbols« lautet der Titel eines Unterkapitels, in dem er einige bekannte Vermutungen der Gelehrten zur Form des Herzsymbols aufführt: Zum Beispiel, dass die Herzform dem Efeublatt entlehnt oder vom Menschenantlitz hergeleitet sei.

Hinsichtlich der universellen Dimension des Herzsymbols lassen sich beide aufgeführten Sichtweisen erweitern und vertiefen. Nicht nur der Efeu bringt das Herzblatt hervor; die Welt der Rank-, Schling- und Kletterpflanzen ist voll mit Herzblättern. Auch zahlreiche Baumblätter sowie Blütenblätter sind herzförmig. Nicht nur im Menschenantlitz scheint das Herzzeichen durch, sondern auch im Antlitz einiger Tiere und Insekten. Manchmal tritt das Herz nur für einen kurzen Augenblick in Erscheinung, etwa wenn sich zwei Libellen paaren oder zwei Schwäne herzen. Die Form des Herzens ist in der Natur allgegenwärtig.

Die Fotoserie Amorisation dokumentiert die Natur des Herzens, die natürliche Erscheinungsvielfalt eines Symbols. Beschäftigt man sich intensiver mit Herz und Natur, entdeckt und sichtet man die Naturherzen, kommt man allmählich der Natur des Herzens und dem Herzen der Natur näher. Das Herzsymbol in der Natur zu sichten, kann den Raum zu einer mystischen Naturerfahrung eröffnen. So in etwa habe ich es erlebt. Meine philosophische Reise – Von Herzsichtig zu Vollherzig erzählt die Geschichte dazu.

 

Die Welt des Herzens reicht bis zu jener kosmischen Dimension, in der es als das Herz der Geometrie pulsiert. Bestehend aus einfachen und komplexen geometrischen Transformationen bezeugt sie zum einen die ästhetische Tragweite des Herzsymbols, zum anderen seine ständige Präsenz im Universum. Die Herzgeometrie ist eine Offenbarung des kosmischen Herzens. Eine intensive Beschäftigung mit den harmonischen und harmonisierenden geometrischen Transformationen, zum Beispiel beim Ausmalen, weitet über eine sinnliche Erfahrung den Wahrnehmungsraum und kann Wandel entfachen.

Das Herzsymbol ist ein über Orte und Zeiten hinweg erscheinendes universelles Symbol.

Ilknur Özen

Sowohl die Amorisation als auch die Herzgeometrie sind lediglich die Sichtbarmachung von etwas, das da ist, unabhängig davon, ob es gesehen wird oder nicht. Vor allem seine natürlichen und kosmischen Erscheinungsmomente zeigen das Herzmotiv als ein Universal-Symbol und erübrigen die Frage nach seiner Herkunft und Entstehungszeit. Das Herzsymbol trägt einen Hauch Unsterblichkeit in sich und repräsentiert universelle Gesetzmäßigkeiten mit dem stetigen Verweis auf das unsichtbare Vereinigende.

Die Hypatia-Forscherin Annemarie Maeger sieht die Philosophie der Liebe durch das geometrische Herz symbolisiert. In ihrem Buch Genetische Geometrie zeigt sie »das Herz als geometrische und philosophische Urzelle der Schöpfung«. Ihre Ausgangsthese lautet: »Wenn eine Philosophie/Religion den Anspruch erhebt, göttliche Wahrheiten zu verkünden, dann müssen diese Wahrheiten auch in den Naturgesetzen, in der Sprache und besonders in der Algebra und Geometrie ihre Entsprechungen haben.«

Das Herzsymbol DENKSTAHL Künstler in seiner Serie Make Love Not War … Das Zeichen der Liebe und des Friedens.

Symbol-wissenschaftlich betrachtet, ist das Herz sowohl Vertretungs-Symbol, als auch Transparenz-Symbol und Real-Symbol.

Ilknur Özen

Die facherübergreifend arbeitende wissenschaftliche Symbolforschung widmet sich dem Symbol »als sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit« und unterscheidet drei Arten bezüglich der Erscheinungsweisen eines Symbols — Vertretungs-Symbolik, Transparenz-Symbolik, Real-Symbolik.

Hier ein kleiner Einblick in die drei Betrachtungsebenen der Symbolforschung:

» Vertretungs-Symbolik: Das Zeichen steht stellvertretend für etwas anderes und ist austauschbar

» Transparenz-Symbolik: Im Symbol scheint das Sein durch; vergegenwärtigendes, teilhabendes Zeichen

» Real-Symbolik: Das Symbol wird nicht als solches erfasst, sondern mit dem Symbolisierten als Einheit erlebt und empfunden. ›Bild‹ und Wirklichkeit sind ineinander verwoben.

Im Hinblick auf das Herz als Symbol lassen sich alle drei Bedeutungsebenen der Unterscheidung wiederfinden. Die Ebenen überlappen sich, gehen ineinander über, lassen dennoch eine differenzierte Sicht zu. Die folgende Betrachtung ergibt ein schlüssiges Bild den grundlegenden Zusammenhang von »Liebe« und »Leben« betreffend sowie deren versinnbildlichter »Einheit«, im Herzsymbol:

 

Das Herz als Vertretungs-Symbol der Liebe

» Das Herz steht für die Liebe.

Die bildliche Darstellung der Liebe als Ausdrucksmittel der Vereinigung findet im meist roten Herzmotiv, dem bekanntesten Symbol für Liebe und Freundschaft, statt. Es ist das Beziehungs-Symbol schlechthin. Der Vereinigungswunsch, ein spürbarer urtiefer Herzenswunsch, äußert sich darin, dass aus Zweiheit Einheit werde. Das verbindende Element des Herzens wohnt auch dem Verb »herzen« inne. Jemanden oder etwas zu herzen bedeutet, ihn/es an sein Herz zu drücken, mit dem Herzen zu berühren und in sein Herz zu lassen.

 

Das Herz als Transparenz-Symbol der Einheit

» Im Herzen scheint das Sein durch.

Hier versinnbildlicht das Herzsymbol das Ganze, durch seine beiden Hügel die Dualität, die Doppelnatur des Lebens, welche in der Spitze zu einer Einheit verläuft (Aristoteles). Es ist anzunehmen, dass dieser Deutung eine Einheitserfahrung vorausgeht, in der die zentrisch wirkende Kraft des Herzens vernommen wird. In der Wahrnehmungsebene des Herzens kreuzen sich Natur und Kosmos, Erde und Himmel, Materie und Geist, das Männliche und Weibliche. Der direkte Bezug des Herzens zum Kreuz kennzeichnet jenen wahrnehmbaren Verbindungsmoment zweier horizontal und vertikal fließender Energien/Prinzipien und ist beispielsweise im aztekischen Wort yollotl zugegen, das »Herz« und »Mitte des Kreuzes« zugleich bedeutet.

 

Das Herz als Real-Symbol des Lebens

» Das Herz wird mit dem Leben als Einheit erlebt und empfunden.

Das Herz (= die Brustgegend) ist ein leiblich erlebtes und erfahrbares Wahrnehmungs- und Kommunikationszentrum: Die Lebenskraft als solche wird im Herzen erspürt. Liebe, Freude, Angst, Sorge und Trauer werden im Herzen wahrgenommen. Besonders in der Alltagserfahrung und -sprache kommt die Realität des Herzens zum Ausdruck, etwa wenn einem vor Freude das Herz im Leibe hüpft, einem das Herz in die Hose rutscht, es einem schwer oder leicht, eng oder weit ums Herz wird usw. Der wortgeschichtliche Zusammenhang von »Leib« und »leben« sei hier nur am Rande erwähnt.

 

Quellen:

»Symbol« – Artikel in Wörterbuch der Symbolik
Manfred Lurker, Stuttgart 1991, S. 719-720 / symbolforschung.org (Gesellschaft für wissenschaftliche Symbolforschung)

 

» Herzgeometrie Mandalas
Ilknur Özen, Mainz 2015

 

» herzsichtig?!
Ilknur Özen, Mainz 2014

 

» Philosophie des Herzens
Ilknur Özen, Nordhausen 2012

 

» Genetische Geometrie. Das Herz als geometrische, kybernetische und philosophische Urzelle der Schöpfung
Annemarie Maeger, Hamburg 1995

» Das Herz als Symbol
Frank Nager, Basel 1993

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